Schrift braucht Form. Marke auch.

Perspektiven

„Es zieht.“

Was bedeutet dieser Satz? 

Es könnte die genervt ausgesprochene Bitte des Kollegen sein, man möge doch bitte das Fenster schließen: „Es zieht.“
Es könnte allerdings auch die Social-Media-Managerin sein, die begeistert vor den Zahlen der aktuellen Kampagne sitzt: „Es zieht.“
Genauso gut könnte es aber auch ein US-Amerikaner sein, der sein Bestes gibt, Eszet-Schnitten richtig auszusprechen: „Es zeet?“

Die Bedeutung eines Satzes zu bestimmen, fällt uns im alltäglichen Dialog meist leicht. Denn neben der Aussage „Es zieht“ erhalten wir noch viele andere Informationen: Kontext, Sprecher, Tonfall etc. Vor allem aber durch die Körpersprache des Gegenübers können wir vieles deuten.

Beim geschriebenen Wort entfällt das. Typografie fängt es auf.

Typografie ist der Körper der Schrift.

„Kleider machen Leute“ oder „Es gibt keine zweite Chance für den ersten Eindruck“: Es gibt viele Zitate, die nahelegen, dass die Form mindestens genauso wichtig ist wie der Inhalt. Wenn nicht sogar wichtiger.

Besonders beim ersten Eindruck kommt es laut einer Studie des amerikanischen Psychologen Mehrabian nur zu 7 % darauf an, was eine Person sagt. Wie jemand etwas sagt, also: Stimmfarbe, Tonfall, Betonung und Artikulation, schlägt hier mit 38 % zu Buche. Körpersprache, Kleidung, Blickkontakt etc. machen etwa 55 % des ersten Eindrucks aus.

Ergo: Der erste Eindruck bildet sich hauptsächlich durch die Form, auch die Form des Gesagten, weniger aber durch den eigentlichen Inhalt. Das gilt natürlich besonders für Unternehmen und Marken, die in vielen Situationen auf einen ersten Eindruck angewiesen sind.

Warum ist Typografie also wichtig?

Marken haben mehrere Möglichkeiten, sich in guter Form zu präsentieren: Logo, Farbwahl, Bildwelt, Tonalität, Wahl des Mediums etc. Aus all diesen CD-Elementen ist die Typografie aber das einzige Element, mit dem Personen interagieren. Denn Inhalte werden ausschließlich über diese Form vermittelt. Typografie übernimmt dabei mehrere Rollen – als andauernder Touchpoint, Orientierungspunkt und wichtiger Imageträger.

Typografie als andauernder Touchpoint: Website, PoS, Werbung, Hotline, Vertrieb etc.: All das können Touchpoints einer Customer Journey sein. Mal hat man Kontakt zu Menschen, mal nur zu Geschriebenem. In ca. 90% der Fälle ist dabei Typografie im Spiel. Sei es bei der Nachfass-Mail, der postalischen Bestätigung, einem Handout, der Warenbeschreibung, der Beschilderung, der Website und natürlich auf Werbemitteln.
Typografie ist als Touchpoint omnipräsent und gerade deshalb eines der wertvollsten Assets jeder Markenidentität.

Typografie als Orientierungspunkt: Was kann ich als Kunde von einer Marke erwarten? Ist sie hochpreisig? Preiswert? Luxuriös? Persönlich? Natürlich? Modern? Die Wahl der Schriftart bietet bereits Orientierung und eine Antwort auf die Frage: „Kommt das für mich in Frage?“

Typografie als Imageträger: Selbst ohne Inhalte treffen Fonts bereits eine Aussage über ein Unternehmen, ein Produkt oder eine Marke. Sie wecken Erinnerungen und Emotionen, transportieren Werte und Inhalte, präsentieren sich mal leicht und mal (ge)wichtig, mal seriös, intellektuell, nahbar, traditionell, hip oder verspielt. Sie repräsentieren die Marke – im Idealfall sogar komplett eigenständig.

Was zeichnet gute Typografie aus?

Als Werbe­agentur gehört die Beschäftigung mit Schrift und Satz natürlich zu unserem Alltag. Aber die Weiterentwicklung oder Neugestaltung einer Hausschrift gehört zu den Besonderheiten. Denn: Verändert sich die Typo, verändert sich das gesamte Erscheinungsbild.

Einer, der sich sowohl beruflich als auch privat mit Typografie beschäftigt, ist unser Art Director Niklas Glöckner. Wir haben ihm ein paar Fragen gestellt:

Was macht „gute Typografie“ für dich aus?
Einer meiner Professoren sagte einmal in einem der ersten Kurse: „Gute Typografie ist keine Frage des Geschmacks“. Was er damit meint: Dass der korrekte Umgang mit Schrift erstmal ein Handwerk ist, bei dem es um die perfekte Ausführung aller Details geht. Das geht über die reine Lesbarkeit hinaus. Wenn Schrift harmonisch gesetzt ist, eine logische Hierarchie hat und durch die passende Schriftart die Botschaft verstärkt beziehungsweise die Marke stützt, ist das für mich gute Typografie.

Es gibt hunderttausende Schriftarten online. Wie wählst du passende Schriftarten für Unternehmen aus?
Der Auswahlprozess beginnt mit Experimenten, wie ich dem Gefühl, das eine Marke transportieren soll, Ausdruck verleihen kann. Dabei spielen Erfahrung und Intuition eine große Rolle. Von den hunderttausend Schriften ist nur ein vergleichsweise kleiner Teil überhaupt geeignet, um in einem Corporate Design eingesetzt zu werden. Die Fonts sollten im besten Fall zu einer ganzen Schriftfamilie gehören, um die unterschiedlichen Anforderungen online und im Print erfüllen zu können. Das heißt: Sie unterstützt die benötigten Sprachen, hat eine Fülle an Schriftschnitten und am besten noch Designer-Goodies wie Ligaturen oder alternative Buchstaben. Trotzdem findet man viele sich zum Verwechseln ähnliche Schriften auf dem Markt. Es gibt allein hunderte Rennaissance-Antiquas und tausende Helvetica-Klone. Dann kommt es auf jedes Detail an.

Gibt es klare Dos and Dont's, die man kennen sollte?
Es gibt sicherlich typografische Todsünden, beispielsweise LÄNGERE TEXTPASSAGEN, DIE IN VERSALIEN, ALSO GROSSBUCHSTABEN GESETZT SIND und Regeln, an die man sich halten sollte, damit ein Text lesbar ist und harmonisch wirkt. Aber wer die Regeln kennt, kann sie mit einem guten Konzept natürlich brechen.

Beispiele guter Typografie:

In der Typografie unterscheidet man zwischen zwei Gestaltungsmöglichkeiten: Display Fonts, die vor allem für Headlines genutzt werden, und Copyschriften, die bei Fließtexten Anwendung finden. Ergänzt werden diese durch Auszeichnungen, die der Hervorhebung von Passagen oder einzelnen Wörtern dienen. Zum Beispiel Fettungen, Italics, Unterstreichungen oder VERSALIEN.

"Bei Copyschriften steht vor allem die Lesbarkeit im Vordergrund, bei Display Fonts Image, Marke und Emotion. Wenn beide ihren Job erfüllen und zudem harmonisch miteinander interagieren, spricht man von guter Typografie."

Viele Corporate Fonts, also eigens für ein Unternehmen erstellte Schriften, gehören zu diesen Beispielen guter Typografie. Die Schriftgruppe „Corporate ASE“ von Mercedes-Benz beispielsweise gehört inzwischen so sehr zur Marke, dass sie ohne Logozusatz und Inhalt funktionieren. Eine gute Typografie muss aber nicht über Jahrzehnte etabliert werden. fritz-kola hat gezeigt, dass eine eigenständige, wiedererkennbare Display Font innerhalb kürzester Zeit markenprägend werden kann.

Und auch aus unserer eigenen Arbeit wissen wir, wie prägend Typografie für das Erscheinungsbild einer Marke ist. Und vor allem – wie abwechslungsreich. Beispiele gefällig?

  • Laut, mutig und bereit für den nächsten Wettkampf mit Aeonik und Timmons NY: Verbund Kölner Athleten
  • Zukunftsgewandtes Projekt, das seine Erinnerung an die Vergangenheit in Form der durch Industrieschriften inspirierten Fraktion Sans bewahrt: NEULAND Hambach
  • Einladend, gemütlich, familiär und nahbar mit Aperçu: Deutsche Reihenhaus

Wichtigste Frage zum Schluss: Darf man die Comic Sans nutzen?

Nein. Darf man nicht. Nicht einmal, wenn man eine Kindertagesstätte betreibt. Denn es gibt zahlreiche und deutlich geeignetere Fonts, um Verspieltheit, Liebevolles, Vertrauenswürdiges oder Geborgenheit auszustrahlen. Es kommt eben immer auf die Marke an.

Wen man in solchen Fällen am besten fragt? Aclewe – Werbe­agentur aus Köln. Wir machen das beruflich.