Die Hohe Straße. Oder: Vom Schönen im Hässlichen.

Köln

Wir sind es leid, zu lesen, wie hässlich Köln sei. Ja, andere Städte haben aufgeräumtere Prachtstraßen und weniger Sticker an den Laternenpfählen. Das Innere zählt hier aber. Und bei Aclewe halten wir sowieso lieber Ausschau nach dem Besonderen im Alltäglichen, dem Schönen im Unansehnlichen. Das ist nicht nur poetische Theorie, sondern auch eine gute Übung für den Alltag: Lasst euch nicht erschrecken. Hoffnung gibt es in der kleinsten Ecke. Oder, im Falle der Hohe Straße, in der schmalsten Einkaufsmeile.

Zum Dom … and beyond

Die Hohe Straße ist nur acht Meter breit und schleust mehr als 17 Millionen Besucher*innen aus der direkten Umgebung und aller Welt jährlich vom Kölner Dom bis zur Schildergasse, der nächsten großen Einkaufsstraße. An Außengastronomie ist hier nicht zu denken, Tische und Stühle würden sofort von Familien, Gruppen Jugendlicher und LKWs mit Warenanlieferungen verrückt werden. Luxusboutiquen reihen sich hier an Geschäfte für E-Zigaretten und Leggingsläden – diese Gegenüberstellung von Preissegment, Ästhetiken und Klassen ist bezeichnend. Und irgendwie charmant.

War früher alles besser? Schon in der römischen Antike befand sich hier der Cardo maximus, die Nord-Süd-Achse, die sich von der Severinstorburg bis zur Eigelsteintorburg streckte. Geschnitten wurde sie vom Decumanus maximus, der Ost-West-Achse, heute bekannt als Schildergasse. Als wohl einzige befestigte Straße des antiken Kölns kam der Hohe Straße schon damals große Bedeutung zu. Davon sieht man heute auf den ersten Blick nur noch wenig; die neonfarbenen Ausverkaufsschilder lenken von der Historie schnell ab, wenn man nicht aufpasst. Dabei sind Hohe Straße und Schildergasse die beiden größten Einkaufsstraßen Deutschlands. Und vor einem Jahrzehnt auch noch die teuersten – ein Quadratmeter wurde damals für 260 Euro und mehr vermietet. Doch seit Jahren wird der Quadratmeterpreis der Gewerbeimmobilien dort immer günstiger, teils um bis zu 40 Prozent, wie der KStA berichtete. Nur der Wallrafplatz direkt am Dom bleibt die teuerste Lage Kölns. Eine Achterbahnfahrt in mehr als einer Hinsicht, denn nach dem imposanten Dom wechseln sich die Handvoll Luxusmarken schnell mit einigen wenigen Filialen, vielen No-Name-Shops und Leerstand ab.

Gratwanderung zwischen Wandel und Verfall

Ja, es hätte vielleicht keine zehnte Franchise auf 700 Metern gebraucht und die alteingesessenen Schuhgeschäfte und Bekleidungsboutiquen werden weniger. Aber nicht nur die – denn auch Kaufhäuser und große Retailer schließen reihenweise. Der hohe Leerstand ist ein Symptom der Probleme des Einzelhandels, von denen auch Köln nicht verschont blieb. Was lockt die Menschen also überhaupt noch in die Einkaufsstraße?

Denn die Hohe Straße ist schon seit Längerem nicht mehr die erste Anlaufstelle für Kölner*innen, eben weil sie es für die Besucher*innen ist und wir hier zwar den Schnack lieben, aber das Drängen auf der Straße nur an Karneval. Genau deshalb aber droht die Hohe Straße weiter zu verfallen: War sie früher erste Adresse zum Einkaufen, Sehen und Gesehenwerden, ist heute Auffangbecken für alle, die am Hauptbahnhof aus den Zügen strömen, und nunmehr eine Aneinanderreihung von Leerstand und Angeboten fragwürdiger Qualität. Als direkte Nachbarin kennen wir bei Aclewe die Hohe Straße besonders gut. Am Morgen radeln wir sie hoch, wenn sie noch leer ist, mittags shoppen wir dort Kleinigkeiten und abends kreuzen wir sie auf dem Heimweg.

Doch die Geschäfte, die das Aclewe A-Team überhaupt noch in der Hohe Straße aufsucht, sind, wenn überhaupt, ebenfalls Franchises, nämlich beispielsweise Uniqlo und Muji. Schöne Produkte, ja. Kriegt man aber auch online. Hier überkommt uns Wehmut, denn das sind weitere schlechte Neuigkeiten für den Einzelhandel und die Hohe Straße im Speziellen. Und für das Schöne in Kölns Straßen. Wollen wir sie wirklich dem Hässlichen überlassen?

Scheuklappen sind out.

Vielleicht tun wir alle der Hohe Straße Unrecht. Wir wollen das nicht. Deshalb setzen wir uns kollektiv gern für mehr Individualität und Lokalität ein. Der Einzelhandel in Deutschland kann jede Unterstützung gebrauchen. Und wenn das heißt, auch mal einen Ausflug in die Hohe Straße zu wagen und sich zwischen den Menschen, Shops, Baustellen und der Straßenmusik zu verlieren, tun wir das. Wenn auch anfangs noch etwas widerwillig. Nur Mut!

Wir wollen ein bisschen genauer hinschauen, uns dem wilden Treiben aussetzen und keine Ladenzeile verurteilen. Und hat es nicht auch etwas ungemein Tröstliches, sich nicht von der brutalen Einkaufsästhetik erdrücken zu lassen, sondern in den Details Kurioses finden zu können? Schließlich haben auch die marktschreierischen Sale-Kleber und No-Name-Läden so gesehen ihre Berechtigung. Die Hohe Straße bleibt Einkaufsstraße für alle. Das ist kölsche Selbstverständlichkeit. Aber eben auch Kölner Lebensader, touristischer Magnet und Publikumsverkehr auf einer Straßenbreite, die den Namen kaum verdient.

Mehr Kunst würde der Hohe Straße sicherlich guttun, wie beispielsweise in 2022, als sie Heimat der Open Art Gallery war. Schon vor zwei Jahren haben sich Kunst und Kommerz zu einem großen K vereint und damit die Innenstadt verschönert. Aclewe durfte das Projekt damals übrigens begleiten. Gerne auch nochmal! Weitere Architekturperlen werden gebaut und/oder erweitert, immer mit zeitgemäßen und zukünftigen Nutzungen im Blick. Das gilt zum Beispiel für das Weltstadthaus, in dem Peek & Cloppenburg beheimatet ist. Ein Hoffnungsschimmer? Das kölsche Jeföhl bleibt: Nix bliev wie et wor. Aber vor allem: Et hätt noch immer jot jejange. Also Augen auf beim Shoppingtrip. Wer weiß, was ihr so Schönes im Kleinen entdeckt.